Literatur-TANDEM-letterario 2025
Kommentar von Barbara Thiel

Das Literatur-TANDEM-letterario 2025 ist ein Stipendium für junge Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Italien und Deutschland. Die AutorInnen haben eine Kurzgeschichte in ihrer Landessprache eingereicht. In einem deutsch/italienischen Tandem haben Sie die Kurzgeschichte des fremdsprachigen Partners in die eigene Landessprache übertragen.

Eines der sechs Tandems im Jahr 2025 sind Barbara Thiel mit ihrer Erzählung Abschalten und Francesca Pozzo mit ihrer Erzählung La mano di Dio. In ihrem Kommentar zur Übersetzung des Textes La mano di Dio hat Barbara Thiel geschrieben:

Dass man daran manchmal scheitern muss, auch das habe ich in dieser Zeit gelernt. Denn, wie übersetzt man einen Namen, dessen Bedeutungsebenen sich durch den ganzen Text ziehen, ohne dass dabei etwas sehr Schönes und Wichtiges verloren geht? Gar nicht, wie ich schließlich feststellen musste. Was nicht übersetzt werden kann, muss erklärt werden, und das birgt immer die Gefahr, etwas von der texteigenen Magie zu nehmen. Ich musste dennoch meinen eigenen Perfektionsanspruch loslassen und dieses Risiko eingehen, und obwohl ich überzeugt bin, dass immer irgendetwas zwischen den Sprachen verloren geht, glaube ich, dass auch die deutsche Sprache eine wahrheitsgetreue Replik der italienischen Diomeda abbildet.

Barbara Thiel

Hier der ganze Kommentar von Barbara Thiel:

Mit einem Text in fremder Sprache konfrontiert zu werden, das ist in etwa so, wie zum ersten Mal im Leben betrachtend vor einem Kunstwerk zu stehen. Anstelle der Museumsführer und kunstgeschichtlichen Lektüren helfen hier Übersetzungsprogramme und künstliche Intelligenzen, aber den entscheidenden Schritt, das Eindringen in das Kunstwerk, um es in seiner vollen Tiefe zu verstehen, kann man nur selbst tun.
Im Austausch mit Francesca nahm die Welt ihres Textes vor meinem inneren Auge immer mehr Gestalt an, ich erkannte über den Umweg des Englischen die Umrisse und groben Pinselstriche, konnte durch beharrliches Rückfragen und erneutes Rückfragen die Details erkennen und sah die feinsten Farbabstufungen erst, als ich einzelne Wörter unter die Lupe nahm, ihre Nuancen, ihre verschiedensten Übersetzungsoptionen. Nicht zuletzt braucht es für die Interpretation eines Kunstwerks, wie auch für die Übertragung eines Textes, eine gewisse Portion Mut. Ich bin dankbar dafür, dass Francesca mir ihren Text anvertraut hat, nicht müde wurde, meine Fragen zu beantworten und mir die Freiheit ließ, nicht exakt Wort für Wort zu übersetzen, sondern die Geschichte, die Figuren, die Atmosphäre bestmöglich in meiner Sprache einzufangen.
Dass man daran manchmal scheitern muss, auch das habe ich in dieser Zeit gelernt. Denn, wie übersetzt man einen Namen, dessen Bedeutungsebenen sich durch den ganzen Text ziehen, ohne dass dabei etwas sehr Schönes und Wichtiges verloren geht? Gar nicht, wie ich schließlich feststellen musste. Was nicht übersetzt werden kann, muss erklärt werden, und das birgt immer die Gefahr, etwas von der texteigenen Magie zu nehmen. Ich musste dennoch meinen eigenen Perfektionsanspruch loslassen und dieses Risiko eingehen, und obwohl ich überzeugt bin, dass immer irgendetwas zwischen den Sprachen verloren geht, glaube ich, dass auch die deutsche Sprache eine wahrheitsgetreue Replik der italienischen Diomeda abbildet.
La mano di Dio zeichnet mit wenigen präzisen Pinselstrichen zwei Frauenfiguren in ihrer Dynamik zwischen Inspiration, Bewunderung, Abhängigkeit und Anbetung. Sprache und Inhalt greifen so gekonnt ineinander, dass ein dreidimensionaler, in seiner Erzählung vollendeter Text entsteht, der die Grenzen des Möglichen verwischt, mit Licht und Schatten spielt und eine Welt erschafft, die von nun an auch deutsche Leser:innen in ihren Bann ziehen und faszinieren kann, wie sie es für mich getan hat.

Barbara Thiel