Literatur-TANDEM-letterario 2025
Kommentar von Amelie Befeldt

Das Literatur-TANDEM-letterario 2025 ist ein Stipendium für junge Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Italien und Deutschland. Die AutorInnen haben eine Kurzgeschichte in ihrer Landessprache eingereicht. In einem deutsch/italienischen Tandem haben Sie die Kurzgeschichte des fremdsprachigen Partners in die eigene Landessprache übertragen.

Eines der sechs Tandems im Jahr 2025 sind Francesca Maruccia mit ihrer Erzählung Sul parallelo degli opposti und Amelie Befeldt mit ihrer Erzählung Schäferhund. In ihrem Kommentar zur Übersetzung des Textes Sul parallelo degli opposti hat Amelie Befeldt geschrieben:

Francesca Maruccias „Sul parallelo degli oppostit“ ist ein sehr dichter Text, sprachlich wie inhaltlich. Ihn zu übersetzen war eine Herausforderung und nur im Dialog mit der Autorin möglich. Insbesondere die Metapher der Gegensätze und der Galaxie waren nicht ohne vorherige Rücksprache ins Deutsche zu Übertragen. Das Sprechen über einzelne Wörter und Redewendungen hat noch einmal ganz neue Einsichten in den Text gegeben, als es ein bloßes Lesen geben könnte.

Amelie Befeldt

Hier der ganze Kommentar von Amelie Befeldt:

In Francesca Maruccias „Sul parallelo degli oppostit“ geht es um eine Frau, die in einer Art persönlichem Urknall erkennt, etwas anderes vom Leben zu wollen als ihr langjähriger Partner, L. genannt. Die Protagonistin, die im Text nur M. heißt, beendet daraufhin die Beziehung. Auslöser für M.‘s Erkenntnis ist ihr 32. Geburtstag. Plötzlich erinnert sie sich daran, besonders gern gepunktete Socken zu tragen – etwas, das sie nicht mehr tut, seit sie mit L. zusammen ist, um ihn nicht zu verärgern. Schließlich bevorzugt L. schlichte, nicht gemusterte Socken.
Maruccias Text beginnt, als die Trennung schon vollzogen ist. M. ist in eine neue Wohnung gezogen, die, wie wir später erfahren, nicht nur einer anderen Stadt, sondern in einer völlig anderen Galaxie liegt. Auf ihrem Balkon stehend, erinnert sie sich zurück an ein Mittagessen mit L. In langen, verschachtelten Sätzen beschreibt Maruccia L.s pedantische Routine, die M. fast schon halluzinieren lässt: Sie glaubt zu sehen, wie L. streng auf seine Uhr schaut, sie spricht von einem Hologramm des Kaffees, den L. wie immer nach seiner Mahlzeit bestellt hat und der jederzeit eintreffen dürfte. In dieser Situation reift M.s Erkenntnis zu ihrem ganz persönlichen Urknall. Sie begreift, dass sie so ganz anders ist als der Mann vor ihr und ganz andere Dinge will. Eine Sehnsucht nach dem Gegenteil setzt in ihr ein: M. will nicht nur in eine neue Stadt ziehen, sie will gleich eine neue Galaxie für sich finden, eine Galaxie des Gegenteils. Doch wie stellt sie das an? Indem sie sich selbst anders verhält als sonst.
Maruccia unternimmt einen kleinen Exkurs zu Einstein und seiner Theorie, dass sich auch die Ereignisse auf einer Ebene ändern, wenn sie ihr Bezugspunkt ändert. Auch Ausführungen zum Ablauf eines Urknalls finden Platz in diesem Text – passend zur Galaxie-Metapher, die für M.s neues Leben steht und die Maruccia konsequent durchzieht. Und noch ein Bezug wird hergestellt, wenn auch subtiler, weniger eindeutig: wenn M. endlich in ihrem eigenen Zimmer in einer kleinen WG im 7. Stock lebt, erinnert der Text kurz an Virginia Woolfs „A Room of One’s Own”. In diesem Essay beschreibt Woolf die Wichtigkeit eines eigenen Zimmers für die eigene (schriftstellerische) Entwicklung. Etwas, das Frauen aufgrund ihres Geschlechts bis spät ins 19. Jahrhundert von Männern abgesprochen wurde.
Wenn Maruccia nun beschreibt, wie wichtig M. ihr Zimmer in der entgegengesetzten Galaxie ist und dass sie plötzlich wieder gepunktete Socken tragen kann (und auch möchte!), wie es ihr gefällt, beschreibt Maruccia womöglich eine ähnliche Freiheit, wie sie Woolf beschreibt, wenn Woolf von einem Zimmer nur für sich allein spricht.
Francesca Maruccias „Sul parallelo degli oppostit“ ist ein sehr dichter Text, sprachlich wie inhaltlich. Ihn zu übersetzen war eine Herausforderung und nur im Dialog mit der Autorin möglich. Insbesondere die Metapher der Gegensätze und der Galaxie waren nicht ohne vorherige Rücksprache ins Deutsche zu Übertragen. Das Sprechen über einzelne Wörter und Redewendungen hat noch einmal ganz neue Einsichten in den Text gegeben, als es ein bloßes Lesen geben könnte.

Amelie Befeldt