Das Literatur-TANDEM-letterario 2024 ist ein Stipendium für junge Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Italien und Deutschland. Die AutorInnen haben eine Kurzgeschichte in ihrer Landessprache eingereicht. In einem deutsch/italienischen Tandem haben Sie die Kurzgeschichte des fremdsprachigen Partners in die eigene Landessprache übertragen.
Eines der sechs Tandems im Jahr 2024 sind Franziska Gerlach mit ihrer Erzählung Stella und Maria Renda mit ihrer Erzählung Supercinema. In ihrem Kommentar zur Übersetzung des Textes Supercinema hat Franziska Gerlach geschrieben:
…Mir war von Anfang an klar, dass mir mit der Übersetzung des Textes auch eine Verantwortung übertragen worden war: Nämlich das Wesen der Charaktere zu bewahren, die Maria so sorgsam angelegt hatte. Diese Aufgabe verlangte zweifelsohne mehr, als um die Bedeutung von Worten zu ringen oder grammatikalischen Strukturen nachzuspüren – auch wenn ich insbesondere bei der Arbeit an den Dialogen manchmal die Personalpronomen vermisste, die einem im Deutschen so zuverlässig anzeigen, wer gerade spricht. Aber Übersetzen bedeutet ja nicht, die Einzelteile zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Vielmehr geht es darum, den Zauber einer Geschichte in eine andere Sprache zu transferieren. Das macht irre viel Spaß, erfordert aber auch Kritikfähigkeit und gelegentlich den Mut, sich vom Diktat des Wortwörtlichen zu lösen. …
Franziska Gerlach
Als ich mich für das Literaturtandem beworben habe, da dachte ich, ja, Italien, das ist voll meins, da kenne ich mich aus. Eine unübersichtliche Anzahl an ausgetauschten E-Mails später war mir klar, dass ich eigentlich gar nichts wusste, oder zumindest nicht so viel, wie ich angenommen hatte. Die Roten Brigaden waren mir natürlich ein Begriff, doch ich wusste nicht, dass der französische Staatspräsident François Mitterrand seinerzeit italienischen Linksterroristen Asyl gewährt hatte; ich wusste nicht, dass man im Italienischen belli capè! sagen kann, um jemanden scherzhaft zu necken; ich wusste nichts von den kleinen Kulturvereinen, …
Hier der ganze Kommentar von Franziska Gerlach:
Als ich mich für das Literaturtandem beworben habe, da dachte ich, ja, Italien, das ist voll meins, da kenne ich mich aus. Eine unübersichtliche Anzahl an ausgetauschten E-Mails später war mir klar, dass ich eigentlich gar nichts wusste, oder zumindest nicht so viel, wie ich angenommen hatte. Die Roten Brigaden waren mir natürlich ein Begriff, doch ich wusste nicht, dass der französische Staatspräsident François Mitterrand seinerzeit italienischen Linksterroristen Asyl gewährt hatte; ich wusste nicht, dass man im Italienischen belli capè! sagen kann, um jemanden scherzhaft zu necken; ich wusste nichts von den kleinen Kulturvereinen, die es früher wohl in vielen italienischen Vororten gab. Das sind nur drei der Dinge, die ich in den Wochen der Zusammenarbeit gelernt habe. Und an meinem Kühlschrank hängt nun eine Liste mit Titeln von Filmen. Ich habe mir fest vorgenommen, sie alle anzuschauen.
Die Lektüre von Maria Rendas „Supercinema“ hat mich in das Italien der Achtzigerjahre zurückversetzt, in den Hof eines Wohnhauses, in dem sechs Freunde unter Zuhilfenahme eines Lakens einen Sommer lang ein Kino organisieren. Das klingt nach einer Geschichte mit einem leichten Spirit, nach einer Sommergeschichte mit einer lebensbejahenden Dynamik, nach einem Abenteuer von der Sorte, wie man es selbst gerne erlebt hätte. Maria lässt die jungen Leute ihr „Projekt“ – so würde man heute wohl sagen – mit einer kraftstrotzenden Zuversicht anpacken. Nach und nach lernte ich Anna, Gabriella, Mauro, Danilo, Nino und Andrea besser kennen, ihre Charaktere gewannen an Konturen. Ich erlebte Gabriella als sanft und zugleich durchsetzungsstark, Danilo schien kein Musterschüler, dafür aber ein recht hilfsbereiter Kerl zu sein. Doch erst nach mehrmaligem Lesen (und Rückfragen bei Maria) fühlte ich die Schwere, die sich in der Seele von Anna, der Ich-Erzählerin, eingenistet hatte, seit ihre Mutter in Frankreich untergetaucht war. Und ich verstand, dass in der jungen Frau seit diesem Verlust zahllose Fragen arbeiten mussten.
Mir war von Anfang an klar, dass mir mit der Übersetzung des Textes auch eine Verantwortung übertragen worden war: Nämlich das Wesen der Charaktere zu bewahren, die Maria so sorgsam angelegt hatte. Diese Aufgabe verlangte zweifelsohne mehr, als um die Bedeutung von Worten zu ringen oder grammatikalischen Strukturen nachzuspüren – auch wenn ich insbesondere bei der Arbeit an den Dialogen manchmal die Personalpronomen vermisste, die einem im Deutschen so zuverlässig anzeigen, wer gerade spricht. Aber Übersetzen bedeutet ja nicht, die Einzelteile zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Vielmehr geht es darum, den Zauber einer Geschichte in eine andere Sprache zu transferieren. Das macht irre viel Spaß, erfordert aber auch Kritikfähigkeit und gelegentlich den Mut, sich vom Diktat des Wortwörtlichen zu lösen. Wie gut, dass ich an jedem Tag unserer Zusammenarbeit wusste, dass da jenseits der Alpen ein Mensch sitzt, der geduldig und ausführlich meine Fragen beantwortet. Der Position bezieht, und dabei offen, zugetan und herzlich ist. Vielleicht war es Glück, aber letztlich hat es einfach gepasst. Danke, Maria!
Franziska Gerlach