Literatur-TANDEM-letterario 2024
Kommentar von Philipp Cyprian

Das Literatur-TANDEM-letterario 2024 ist ein Stipendium für junge Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Italien und Deutschland. Die AutorInnen haben eine Kurzgeschichte in ihrer Landessprache eingereicht. In einem deutsch/italienischen Tandem haben Sie die Kurzgeschichte des fremdsprachigen Partners in die eigene Landessprache übertragen.

Eines der sechs Tandems im Jahr 2024 sind Giulio Nardo mit seiner Erzählung Precarietà del cielo e della terra und Philipp Cyprian mit seiner Erzählung Magnesium. In seinem Kommentar zur Übersetzung des Textes Precarietà del cielo e della terra hat Philipp Cyprian geschrieben:

Es ist bemerkenswert, wie Giulio schon im ersten Absatz von Precarietà del cielo e della terra die Bewegung anlegt, die der Text in der Folge immer ausladender beschreibt. …
…. Giulio jongliert in seinem Text mit dem Formalen und dem Informellen, mit dem Polierten und dem Rauen und dampft alles zu etwas Eigenem ein. …
… Diese atmosphärischen Felder (Schule, Verkopftheit, Groll, Zynismus, usw.) haben mich in der Übersetzung von Giulios Text ins Deutsche geleitet und mir den Weg vorgegeben. Im Gegensatz zu Übersetzungssoftwares ging es mir deshalb nicht darum, exakt Wort für Wort zu übertragen, sondern den Atem des Textes zu erhalten. Zwei Schüler »kopieren« deshalb nicht voneinander (wie DeepL vorschlägt), sondern »schreiben ab«; es ist zu neutral, wenn für Luigi die Stifte »weiter liefen« (DeepL), stattdessen »sausten sie weiter über die Papiere«; Luigi klingt zu brav, wenn er sagt, vermeintliche Intellektuelle würden »von ihren Vätern unterstützt« (DeepL), stattdessen schimpft er, sie würden »von Papa durchgefüttert«. Jede dieser kleinen Entscheidungen lenkt den Ton des Textes in seine Richtung.

Philipp Cyprian

Hier der ganze Kommentar von Philipp Cyprian:

Es ist bemerkenswert, wie Giulio schon im ersten Absatz von Precarietà del cielo e della terra die Bewegung anlegt, die der Text in der Folge immer ausladender beschreibt. Der Vertretungslehrer Luigi sitzt vor seiner Klasse, an einem Tag, der wie jeder andere wirkt, mit Klassenarbeiten, scheinender Sonne, abdriftenden Gedanken. Aus jedem Satz quillt Luigis Frust darüber, dass die Liebe für die Literatur und die Menschen von seinen im Leben gemachten Erfahrungen langsam, aber sicher abgetragen worden ist. Jetzt steckt da in ihm bloß noch eine leise Hoffnung auf die Wiederkehr dieser Ideale, verquirlt mit einer gehörigen Portion Desillusion und Zynismus. Giulio jongliert in seinem Text mit dem Formalen und dem Informellen, mit dem Polierten und dem Rauen und dampft alles zu etwas Eigenem ein.

Diese atmosphärischen Felder (Schule, Verkopftheit, Groll, Zynismus, usw.) haben mich in der Übersetzung von Giulios Text ins Deutsche geleitet und mir den Weg vorgegeben. Im Gegensatz zu Übersetzungssoftwares ging es mir deshalb nicht darum, exakt Wort für Wort zu übertragen, sondern den Atem des Textes zu erhalten. Zwei Schüler »kopieren« deshalb nicht voneinander (wie DeepL vorschlägt), sondern »schreiben ab«; es ist zu neutral, wenn für Luigi die Stifte »weiter liefen« (DeepL), stattdessen »sausten sie weiter über die Papiere«; Luigi klingt zu brav, wenn er sagt, vermeintliche Intellektuelle würden »von ihren Vätern unterstützt« (DeepL), stattdessen schimpft er, sie würden »von Papa durchgefüttert«. Jede dieser kleinen Entscheidungen lenkt den Ton des Textes in seine Richtung.

So unterschiedlich die Settings, die Figuren und der Stil unserer jeweiligen Texte sind, in diesem Punkt haben Giulio und ich uns getroffen: Die Atmosphäre, der Rhythmus, der Klang eines Textes sind seine zentralen Elemente. Dadurch konnten wir uns gemeinsam, beispielsweise durch das Einlesen unserer Texte, auf die Erzählung des Anderen einlassen und unsere Übersetzungen und ihr Original immer weiter aufeinander zubewegen.

Philipp Cyprian