TANDEM 2022
Blu

Und wieder ist eine Erzählung übersetzt worden.
Hier der Kommentar von Charlotte Weber-Spanknebel zu der Erzählung „Blu” von Feliciana Chiaradia.

Wie ist es also eine Kurzgeschichte zu lesen, und dann auch zu übersetzen, die aufwühlt und betrifft? Nicht leicht. Und aufregend. Mit jedem Satz kamen da mehr Bilder auf, von irgendwo her, und gleichzeitig vertraut.

Charlotte Weber-Spanknebel

Feliciana Chiaradia schwimmt durch ihre Kurzgeschichte, schreibend und erzählend. In Erinnerung an Menschen, die selbst es nicht mehr können. In ihrer Kurzgeschichte „Blu“ tauchen prägende Tage einzelner und vieler Menschen wieder ans Licht, aus so mancher Tiefe, zuvor vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten. Und da sind sie nun wieder: das Wrack der Costa Concordia, ein junger Mann mit langen dunklen Haaren, ein Club in Paris, ein Junge aus Alberobello. Feliciana nimmt sich deren Geschichten an. Aus der Perspektive einer jungen Protagonistin, der Angehörigen des jungen Mannes mit langen dunklen Haaren, durchleben Leser*innen was gewesen war, was hätte werden sollen, was war und was ist. Das Lesen wird zum Fluss, ist schnell Gedankenstrom.
Wie ist es also eine Kurzgeschichte zu lesen, und dann auch zu übersetzen, die aufwühlt und betrifft? Nicht leicht. Und aufregend. Mit jedem Satz kamen da mehr Bilder auf, von irgendwo her, und gleichzeitig vertraut. In Gesprächen mit Feliciana fiel es leichter und leichter sich die Bilder zu einer Collage zusammendenken. Und am Ende war da ein großes Meer aus Wörtern, Sätzen, Fragen. Zwei Muttersprachen, die sich gegenüber stehen. Eine Materie, zwei Aggregatzustände. Das war ein neues Gefühl. Was das auch macht, mit mir, als Lesende, die plötzlich Schreibende wird und auch Erzählende. Von etwas, was längst alt war und doch neu ist. Gar nicht mir gehört. Und dann wieder doch.
Am Ende haben wir viel geredet. Über die Menschen, die wir nicht untergehen lassen wollen. Italienische und deutsche Worte, die Halt geben in diesem großen, weiten, tiefen Blau.

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