Wir sind an einem sehr kritischen Punkt in Europa angelangt, weil unsere Prioritäten seit vielen Jahren falsch gesetzt wurden. Wir haben gemeint, wirtschaftliche Aspekte wären all-entscheidend und haben dabei versäumt, ein wirklich tiefgründiges europäisches Bewusstsein aufzubauen.
Besonders in den letzten 20 Jahren, in denen die Globalisierungseuphorie und der mit ihr einhergehende Gier-und Wildwestkapitalismus immer stärker angeheizt wurde, wird uns eine “Geschichte” erzählt und auf allen Kanälen verbreitet, auf Weisen und mit Mitteln, die das ganze Spektrum von subtil bis schamlos abdecken, nach der Wirtschaft konstitutiv für Kultur sei. Wir müssen endlich begreifen, dass es genau umgekehrt ist. Dort, wo die Kultur blüht und die Kulturen ihre großartige, bewegende Kraft entfalten können, gedeiht Wirtschaft prächtig. Kultur ist die Voraussetzung für gute Wirtschaft, nicht umgekehrt, obwohl sie (die Kultur) immer mehr den “Brosamen, die von der Herren Tische fallen” gleicht, womit, so wird es uns eingetrichtert, wir uns abfinden sollen.
Das größte Kulturphänomen in allen großen Weltanschauungen und Religionen (und in Europa haben wir davon zwei große, die uns nolens volens seit mehr als 2000 Jahren geprägt haben) heisst Liebe. Liebe ist der Motor hinter JEGLICHER wahrhaftiger Kulturanstrengung, vielleicht lohnt es sich, darüber einmal nachzudenken. Shakespeare sagte “if music be the food of love, play on” (Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter). So verstanden ist Liebe unser tiefster kultureller Wert in allen Schattierungen und Ausprägungen, ein Begriff auf den wir uns alle in Europa verständigen können, ein Wertbegriff, der von unseren heiligen Schriften bis zu Karl Marx, von den Minnesängern bis zum Eurovision Songcontest, von allen großen Schriftstellern, Musikern, Tänzern und bildenden Künstlern immer und immer wieder (direkt oder indirekt) thematisiert wurde und wird.
Wenn wir diesen Begriff neu verstehen, nicht nur als sogenannte “romantische” Kategorie, sondern in seiner ganzen gesellschaftspolitischen Dimension, wenn wir ihn neu im Bewusstsein verankern, dann können wir Europa retten und eine neue Geschichte von und über Europa erzählen, die Viele erstaunen und ermutigen wird.
Liebe bedeutet, ich habe die Mittel und Möglichkeiten, mein Leben zu feiern und schaue gleichzeitig auf “die Anderen”. Wenn Liebe ein Synonym für Kultur ist, dann ist Kulturförderung überlebensnotwendig für Europa Wenn wir als Europäer zusammen feiern, viel mehr feiern, dann “kümmern” wir uns viel leichter, schneller und williger umeinander. Liebe heisst “teilen” und teilen, sharing ist der Motor, der Europa aus dem Graben zieht.
Um zu feiern brauchen wir ein Kreativ-und Kulturprogramm, das diesen Namen wirklich verdient. Wie will die EU mit einem “Kreativprogramm”, für das noch nicht einmal 20 Euro pro EU-Bürger zur Verfügung gestellt werden, Europa retten?
Wir brauchen im Gegenteil eine neue kulturelle Renaissance, bei deren Finanzierung sich alle beteiligen müssen, aber ganz besonders und überproportional die, die überproportional und gewaltig von der “Globalisierung” profitiert haben!
Wir brauchen Politiker, Unternehmer und Künstler, die den Mut haben, uns diese neue Geschichte von Europa zu erzählen!
Der Teilnehmer “J. Ullrich” ist Deutscher und älter als 50 Jahre