Das Schülerpraktikum bei der Stadt Wiesloch wurde in diesem Jahr an Gabriela Magdalena Bobu vergeben. Gabriela besucht das Antonio Meucci Fremdsprachen-Gymnasium in Bassano Romano einem kleinen Ort in der Nähe von Viterbo.
Gabriela lernt seit vier Jahren Deutsch und fühlte sich von Anfang an von den deutschsprachigen Landschaften in Büchern, von der Literatur und von den deutschen Menschen angezogen. Sie lebt in einer Familie mit Migrationshintergrund und ist es deshalb gewohnt, zwischen zwei Welten zu leben, die völlig unterschiedlich in Kultur und Politik sind – Italien und Rumänien. Weiter schreibt sie in ihrem Motivationsschreiben, dass sie an dem Praktikum besonders die Möglichkeit schätzt, bei der Gastfamilie Ziehensack zu wohnen und so die deutsche Kultur und Lebensweise kennen zu lernen. Ihr Lieblingshobby ist backen und sie freut sich schon neue Rezepte auszuprobieren und die Familie Ziehensack freut sich schon sehr auf den Gast.
Im Literatur-DUO haben deutsche und italienische Schülerinnen und Schüler eine von ihnen geschriebene Kurzgeschichte in ihrer Landessprache eingereicht. In deutsch-italienischen DUOs soll die Kurzgeschichte des anderen Autors oder der anderen Autorin in die eigenen Sprache übersetzt oder kreativ nacherzählt werden.
Die Literatur DUOs 2022 sind:
Francesca Possamai (2004) – Feltre – Istituto Comprensivo di Primiero, Transacqua LA REALTÀ NEGLI SGUARDI Sahra Waßner (2004) – Bonn – Aloisiuskolleg Kurzgeschichte zum Gedicht Todesfuge
Letizia Segarelli (2005) – Sutri – Liceo Ginnasio Mariano Buratt – Viterbo La Signora della Montagna Jette Hoos (2005) – Bad Salzuflen – Rudolph-Brandes-Gymnasium Ein letztes Mal
Maja Lorenzmeier (2007) – Bad Salzuflen – Rudolph-Brandes-Gymnasium Lias Erkenntnis Jan D’Orsi (2008) – Avellino – Liceo Scientifico Statale “Pasquale Stanislao Mancini” L’Onda
Felicity Spencer (2003) – Malsch – Leibniz-Gymnasium Östringen Samuel Mario Bona (2004) – Mori – Liceo A. Rosmini, Rovereto IL CAMPANELLO
Nora Antonic (2007) – Mannheim, Liselotte Gymnasium Mannheim Was Menschen machen Benedetto Viezzi (2005) – Tarcento – Collegio Uccellis, Udine Il paese delle anime
Lara Kellner (2006) – Wörthsee – Max-Born-Gymnasium in Germering Saphirblaues Wunder Elena Viviani (2006) – Trento – Liceo linguistico Sophie Scholl Trento IL RISVEGLIO DI GIOVANNA
Die italienische Künstlerin Lisa Redetti war von April bis Mai 2022 als Artist in Residence Gast der Heimann-Stiftung in Wiesloch.
Lisa Redetti, geboren 1993 in Feltre (Belluno), lebt und arbeitet derzeit in Turin. Sie studierte Malerei an der Accademia di Belle Arti di Bologna und vertiefte ihre Studien anschließend an der Accademia Albertina di Torino. Ihre malerischen Studien entspringen einem innigen Bedürfnis nach Übersetzung und formaler Restitution von existenziellen Aspekten. Sie arbeitet auf Papier, ein Material, das ihr einen unmittelbaren und schnellen Zugang ermöglicht, aber gleichzeitig lebendig ist, weil sich die Farbe auf seiner Oberfläche sogar über Wochen ausdehnen kann. Tatsächlich gelingt es ihr, durch die Verwendung von Pigmenten in Kombination mit Öl und von malerischen und zeichnerischen Eingriffen, Überlagerungen zu schaffen, die sich anerkennen und gleichzeitig nebeneinander existieren, wodurch ein so zartes und weiches Material an Körper und Bedeutung gewinnt. Wichtig ist ihr auch der gestalterische Aspekt, der den Raum als Möglichkeit betrachtet die Dreidimensionalität einer zweidimensional Arbeit widerzuspiegeln.
Vernissage – Ausstellung Lisa Redetti
Wie viele Abgründe muss ich noch graben
Punkte, Orte der Begegnung. Teile die sich suchen, verfolgen, imitieren, drehen, beobachten, vermissen. Vereint berühren sie sich, immer, niemals.
Lisa Redetti, 1993 geboren, lebt in Turin wo sie auch ihr Atelier hat. Sie studierte Malerei an der Accademia di Belle Arti di Bologna und vertiefte ihre Studien anschließend an der Accademia Albertina di Torino. Lisa arbeitet mit Papier als Maluntergrund und verwendet oft große Formate. Es gelingt ihr mit Hilfe von Farbpigmenten und Öl Überlagerungen zu schaffen und so entstehen weiche Farbabgrenzungen, weil die Öl getränkten Oberflächen sich während des Trocknens oft noch über mehrere Tage auf dem Papier ausdehnen.
Die Ausstellung im Atrium der Bejarano Gemeinschaftsschule in Wiesloch mit seinem lichtdurchfluteten, weiten Raum brachten die Werke von Lisa sehr gut zur Wirkung.
Die Grußworte von Archim Heimann zur Ausstellung von Lisa Redetti
Liebe Gäste, ich freue mich im Namen der Heimann-Stiftung, einige Worte über die Künstlerin Lisa Redetti und ihr Schaffen an Sie zu richten.
Zunächst möchte ich aber besonders begrüßen die Künstlerin Lisa Redetti, Lisas Vater und seine Lebenspartnerin, die aus Italien angereist sind, Herrn Sauer Bürgermeister der Stadt Wiesloch und Frau Kröhn die Rektorin der Bejarano Schule, die uns die Ausstellung hier in den Räumen ihrer Schule ermöglicht hat.
Ausgewählt wurde Lisa aus den gut zehn italienischen Bewerbern und Bewerberinnen für den Kunstaufenthalt in Wiesloch von einer kleinen Jury aus Prof. Urlaß, Frau Elisabeth Kamps und Frau Roberta Ciut von der KIKUSCH und meiner Frau und mir von der Stiftung. Ausgeschrieben wurde der Aufenthalt in Italien ganz bewusst nur für junge Künstlerinnen und Künstler, da uns viel daran liegt, vor allen Dingen junge Menschen zu fördern.
Bevor ich einige Worte zur Ausstellung sage, möchte ich darauf eingehen, wie Lisa arbeitet.
In einem Interview mit Eleonora Savorelli Journalistin bei ArtsLife sagte Lisa über ihr Arbeit:
Bevor ich beginne, verbringe ich einige Momente still und starre ins Leere oder auf das hängende Papier, als müsste ich zu meinem Rhythmus zurückkehren, zu meiner Bewegung, die nichts mit dem Außen zu tun hat. Um die Wahrheit übermitteln zu können, ist es notwendig, jede Art von Urteil oder Scham gegenüber dem, was wir sind, fallen zu lassen, und eine “reine” Brücke zu schaffen, dank der die Arbeit direkt mit dem Inneren verbunden werden kann.
Eleonora Savorelli
Als Arbeitsmedium hat Lisa Papier und Öl gewählt.
Papier ist ein sofortiger und schneller Träger, aber von äußerst zerbrechlicher Natur, da es leicht reißt oder beschädigt wird. Gleichzeitig ist es lebendig, da sich das Öl und die Farbe auch wochenlang auf seiner Oberfläche ausdehnen können. Ich liebe die Idee, einen so zarten Träger maximal hervorzuheben und ihm durch eine vielschichtige und reflektierende bildliche Intervention Körper und Bedeutung zu verleihen. Öl wiederum ist ein Material, das es mir ermöglicht mit malerischen und zeichnerischen Eingriffen, Überlagerungen zu schaffen, die sich anerkennen und gleichzeitig nebeneinander existieren, wodurch ein so zartes und weiches Material wie Papier an Körper und Bedeutung gewinnt.
Als nächstes fange ich an zu malen, ganz geleitet von einer Kraft, deren Medium ich bin. Jede Form, jeder Fleck, jedes Zeichen erscheint auf dem Papier und wird zwangsläufig bewegt. Nichts in der Komposition könnte irgendwo anders sein als an dem Ort, an dem es erscheint. Verliere ich meinen „Flow“, lässt die Konzentration nach und erzwinge ich einen Eingriff, dann ist die Arbeit wegzuwerfen. Es ist sehr schwierig, Fehler dieser Art zu beheben, die Balance zwischen Voll und Leer zu brechen bedeutet, die Balance zwischen etwas Gegebenem und Verweigertem gleichzeitig zu brechen.
Eleonora Savorelli
Die Leere spielt also in den Bildern von Lisa eine wichtige Rolle. Auf die Frage von Eleonora Savorelli zur Bedeutung der Leere antwortet Lisa: Ich könnte mit einer einfachen leeren / vollständigen Gleichung antworten: Form = Abwesenheit / Anwesenheit: Existenz Es sind absolut zwei untrennbare Aspekte, die eine grundlegende Kombination für die Ordnung der Kompositionsräume innerhalb meiner Arbeit darstellen. Sie sind gleichzeitig Subjekt und Objekt der Reflexion.
Dann fällt natürlich das große Format mancher Bilder auf. Dazu sagt Lisa:
Durch das große Format kann ich viel Energie ausschöpfen, sowohl gestisch als auch kommunikativ. Die Tatsache, dass viele Bilder groß sind, bedeutet einfach, dass Energie im Überfluss vorhanden ist.
Und schließlich nicht zu vergessen – die Rolle des Raums für ihre Bilder – also hier das Atrium der Bejarano Schule Dazu sagt Lisa: Er dient der Entfaltung des dreidimensionalen Potenzials eines Werks, das in der Zweidimensionalität lebt. Es ist ein wesentlicher Bestandteil für die Installation der Werke, da so möglich wird, die Räumlichkeit der Werke durch den Raum an sich zur Geltung zu bringen. Und so sind wir sehr glücklich, dass wir hier im Atrium der Bejarano Schule ausstellen dürfen.
Als Titel für ihre Ausstellung hat Lisa gewählt
QUANTI ABISSI DEVO ANCORA SCAVARE
Frei übersetzt: Wie viele Abgründe muss ich noch graben .. Bei einer Übersetzung geht aber oft viel verloren, denn so bedeutet Abissi nicht nur Abgrund sondern z.B. auch Untiefe, Ruin, Unterwelt und scavare ist mehr als graben sondern auch wühlen, schürfen, aushöhlen Diese Vielschichtigkeit der Wörter kann eine Übersetzung oft nur unzureichend wiedergeben.
Im Untertitel heißt es dann “Punti, luoghi di incontro” “Le parti si ricercano, si rincorrono, si imitano, si girano, si guardano, si mancano” “Unite si toccano, sempre, mai”
Auch hier wieder der Übersetzungsversuch
“Punkte, Orte der Begegnung” “Teile die sich suchen, verfolgen, imitieren, drehen, beobachten, vermissen” “Vereint berühren sie sich, immer, niemals”
In dieser lauten, aufgewühlten Welt voller Tragödien, ist es das besinnliche, das Lisa Redettis Kunst auszeichnet.
Was Lisa bei ihren Bildern empfunden hat, dass kann nur Lisa wissen, aber ich kann Sie nur herzlich einladen, sich selber in die Bilder von Lisa zu vertiefen und ihre eigenen Gedanken und Bilder zu entwickeln.
Liebe Lisa, herzlichen Dank, dass du zu uns nach Wiesloch gekommen bist und uns durch deine Kunst bereichert hast.
Die italienische Künstlerin Alice Bertolasi war von Januar bis März 2022 als Artist in Residence Gast der Heimann-Stiftung in Wiesloch.
Alice Bertolasi
NULL A – Kunstausstellung und Installation mit der italienischen Künstlerin Alice Bertolasi
NULL A – in parole pòlvere Wie, was, wohin atmen wir? Die Stille eines Raumes, vibrierend, Krumen stets prekärer Zeiten: abgestaubt, gesammelt, aufgeschäumt, gehört, eingeatmet, ausgeatmet. An den Grenzen wandelnd und Leere zelebrierend.
Alice Bertolasi (Mailand, 1995) studierte an der Accademia di Belle Arti di Brera (Mailand) und am National College of Art & Design (Dublin) Malerei und entwickelte die Kunstform “In parole pòlvere” eine Kunstforum …
… , indem sie sinngemäß das ephemere und natürliche Abfallmaterial „Staub“ zum Ursprung einer konkreten künstlerischen Vision erhob, in der es diesen zu bewahren gilt, um den „Wert des Lebens sowie die Einzigartigkeit jeder einzelnen Existenz erzählen zu können“. Alice BERTOLASIS bevorzugte Arbeitsmittel sind also nicht Pinsel und Farbe, schon gar nicht formbare Materialien, sondern „STAUB“!
Roland Heinzmann
Der Keller- und zugleich Atelierraum, der Staubproben in anderer Form beherbergt, wurde von Alice regelrecht zu einem Gesamtkunstwerk verwandelt. Die Wände aus Sandstein korrespondieren in ihrer Farbigkeit, Materialität und Rhythmus auf wunderbare Weise mit den künstlerischen Interventionen. Unkonventionell gehängte, großformatige Erdspurenausreibungen, die wolkig erscheinend eine räumliche Tiefe, ein Schweben suggerieren, in Brauntönen, Ocker, Weiß und Schwarz, bilden eine Art Echo auf das, was als Atmosphäre im Raum vorgefunden wurde. …. In dieser lauten, aufgewühlten Welt voller Tragödien, ist es vielmehr das Leise, Achtsame, Subtile, Flüchtige, das Unaufdringliche, was Alice Bertolasis Kunst auszeichnet, was sie der Gegenwart und uns entgegenhält. Zeit, Ort, Existenz, Material und Rhythmus können als zentrale Elemente des Schaffens der Künstlerin charakterisiert werden.
Professor Mario Urlaß
Performance – BertolasiProfessor Mario UrlaßIn parole polvereAtelierIn parole polvereKIKUSCH – Wo ich zuhause binKIKUSCH
Im Italienischen sucht “In parole pòlvere” ganz bewusst einen Bezug zu “in parole povere” eine Redewendung für – im Klartext, kurz gesagt, schlicht und einfach gesagt – und zur “arte povera” einer Kunstrichtung, …
… die in den 1960er Jahren in Italien entstanden ist und traditionelle Medien wie Leinwand und Farben sowie edle Materialien wie Bronze und Marmor ablehnt und stattdessen ursprüngliche und alltägliche Materialien wie Erde, Asche, Moos, Glassplitter oder Bindfaden verwendet
Wikipedia
Alice Bertolasi (Mailand, 1995) studierte an der Accademia di Belle Arti di Brera (Mailand) und am National College of Art & Design (Dublin) Malerei und entwickelte die Kunstform In Parole Pòlvere, die auch das Thema ihrer Diplomarbeit war. Sie vertiefte das Thema in einer zweimonatigen künstlerischen Residenz im Consorzio Brianteo Villa Greppi (Monticello Brianza), die von Simona Bartolena kuratiert wurde und in der die Installation Nella Cruna dell alba entstand. Seit 2016 ist sie zusammen mit Acelya Yonac und Francesca Ferraro Mitbegründerin von Le Foche Parlanti (Poetry Club) – progetto di contaminazione umana per una resiliente vivificazione poetica (“ein Projekt der menschlichen Kontamination für eine belastbare poetische Lebenskraft”). Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit hat sie ein starkes Interesse an der Vermittlung von Kunst und der künstlerischen Bildung. 2017 hat sie das erste Jahr des Studiengangs Primary Education Sciences an der UNIMIB (Mailand) besucht. 2018 arbeitete sie bei der Triennale di Milano als Trainee/Kulturmittlerin und 2021 war sie am European Artists & Instructors City4Care Forschungsprojekt beteiligt, das vom CraMS of Lecco gefördert wird.
Die Grußworte von Prof. Urlaß zur Ausstellung von Alice Bertolasi
Liebe Gäste, ich freue mich, einige Worte über die Künstlerin und ihr Schaffen an Sie zu richten. Alice Bertolasi, 1995 geboren, lebt und wirkt in Milano, studierte bis 2021 an der dortigen Brera Kunstakademie (2020 Erasmusaufenthalt in Dublin). Sie schloss ihr Studium mit einer künstlerischen Arbeit über die poetische Kraft des Staubs mit Auszeichnung ab. Künstlerische Interessen hat Alice auch in der Kunstvermittlung (Kikusch Walldorf), in Soziologie und Psychologie. Während ihres Aufenthalts seit Januar, hatten wir mehrfach künstlerisch und privat anregenden Kontakt mit Alice. Es ist eine große Freude, dass sich heute ein besonderer Höhepunkt ihres Stipendienaufenthalts mit der Ausstellung zeigt (erstmals im und um das Stipendiatenhaus). Ihre Präsentation trägt den Haupttitel Null a was so viel wie gar nichts bedeutet. Das es deutlich mehr als „gar nichts“ ist, werden Sie gleich entdecken. Im Untertitel der Ausstellung taucht in parole pòlvere auf. Im Grunde bedient sich die Künstlerin hier eines Wortspiels „in parole povere“ ist eine Redewendung im italienischen für: kurz gesagt, schlicht gesagt, einfache Worte. Nun sind die Worte povere (schlicht, arm) und pòlvere (für Staub) im italienischen phonetisch sehr ähnlich. Insofern werden aus einfachen Worten: parole pòlvere, also Worte in, Worte aus Staub. Damit verweist Alice auf ihr künstlerisches Vokabular, das sich weniger, einfacher Materialien bedient. Sie folgt damit zugleich einer künstlerischen Richtung, die, als arte povera– arme Kunst bezeichnet wird und in den 1960er Jahren in Italien entstand. Die Arte Povera lehnt traditionelle Medien und edle Materialien ab, rückt stattdessen Einfaches und Vorgefundenes ins Zentrum. Und eine zweite Kunstrichtung, die im Kontext, der heute zu sehenden Kunst steht, soll benannt werden, die künstlerische Spurensicherung. 1974 übertrug der deutsche Kunstkritiker Günter Metken den Begriff auf die Konzeptkunst: Er charakterisierte damit eine Strömung, bei der Künstlerinnen und Künstler durch Sammeln realer Relikte subjektive Zusammenhänge konstruieren. Das was wir im Alltag als lästige Handlung der Säuberung unserer Daseinsspuren kennen (Staubwischen), wird für Alice zur künstlerischen Handlung. Sie entdeckt im Staub künstlerisches Potenzial. Alice nahm mit trockenem Reinigungsvlies Staub und Schmutz von Böden ab, drinnen wie draußen, nicht um der Reinheit und Hygiene willen, vielmehr um die aufgenommenen Spuren zu bewahren, zu transformieren. Als einzelne Bildfragmente werden sie zur Ganzheit komponiert. In ihrem inszenierten Raum füllt sie den Boden akribisch mit diesen Schmutz-Relikten, nähte die Spurenträger zusammen. Warum setzt sich eine Künstlerin kniend und reibend der Mühe des Staubaufnehmens aus? Dafür gibt es mit Reinigungskräften einen eigenen Berufszweig. In Zeiten von Saugrobotern mit mehrstufigen Filterverfahren ist es außerdem ein Leichtes, Schmutz und Staub diskret zu tilgen und uns währenddessen anderen, sinnvolleren Dingen zuzuwenden. Aber: Mit dem was uns lästig ist, was wir loshaben wollen, konfrontiert uns die Künstlerin direkt und sinnlich, hebt uns die mögliche Schönheit von Zivilisations-Spuren und Tiefe dessen vor Augen, was wir lieber vergessen und nicht wahrnehmen wollen. Zivilisation und Staub bedingen sich gegenseitig. Wussten Sie, dass es seit 2019 in Köln sogar ein Internationales Staubarchiv, ins Leben gerufen von dem Kunsthistoriker und Künstler Wolfgang Stöcker, gibt. Rund 800 Proben lagern zurzeit in den Beständen, um die Anwesenheit des Verfalls zu vergegenwärtigen. Der Keller- und zugleich Atelierraum, der Staubproben in anderer Form beherbergt, wurde von Alice regelrecht zu einem Gesamtkunstwerk verwandelt. Die Wände aus Sandstein korrespondieren in ihrer Farbigkeit, Materialität und Rhythmus auf wunderbare Weise mit den künstlerischen Interventionen. Unkonventionell gehängte, großformatige Erdspurenausreibungen, die wolkig erscheinend eine räumliche Tiefe, ein Schweben suggerieren, in Brauntönen, Ocker, Weiß und Schwarz, bilden eine Art Echo auf das, was als Atmosphäre im Raum vorgefunden wurde. Selbst die Fenster haben eine Verwandlung erfahren, indem Spurenraster den Blick nach draußen verbergen, dennoch Licht durch die zarten Vliestücher einfällt, die sich durch Zugluft sanft und gleichmäßig bewegen. Für mich hat der Raum durch die Inszenierung fast schon etwas Sakrales, Andächtiges. Anderseits ist das, was vorgeführt wird, höchst profan, ist vielmehr eine irdische Kunstkammer, die Fragen nach unserem fragilen Hier und Jetzt aufwirft. Von dieser Fragilität, Zerbrechlichkeit zeugen auch die Abgüsse von Mundschutzmasken, die von Wieslochern stammen und von Alice zusammengetragen wurden. Sie hat die Hohlform der Masken mit Wachs, Gips, zum Teil mit Staub angereichert, ausgegossen. Aus „gar nichts“ wird der Atemraum zum kompakten, skulpturalen Gebilde. Atmen, als lebensnotwendige, ständige Grenzüberschreitung zwischen Organismus und Umwelt, wird regelrecht eingefroren, wird feste Materie, Unsichtbares ist sichtbar. Die abgegossene Form wird zur Metapher für Atemlosigkeit. Wie, was, wohin atmen wir? – fragt die Künstlerin in einer Textpassage auf dem Plakat zur Ausstellung. In dieser Pandemie, den zwischenmenschlichen Einschränkungen und sozialen Distanzen, ist die Maske regelrecht zum Symbol für Notwendigkeit, Freiheit und Unfreiheit geworden. Daraus ergeben sich Fragen nach den Grenzen von Selbstbestimmung, nach Existenz. Wird der Atem zum Mittel der Überwachung und Kontrolle? Dimensionen von Gesundheit und Identität, die in Verbindung mit dem Atem als Träger von Krankheit stehen, sind dabei gleichermaßen zentral. Die Pandemie ist nur eine Tatsache, die diese Form von Kunst hervorbrachte. Spätestens mit den gegenwärtigen Krisen und gewaltsamen Katastrophen wird uns klar, wie sehr Bedeutungen, Werte, Gewissheiten und vermeintlich sichere Punkte menschlicher Zivilisation in den Abgrund gerissen werden können. In dieser lauten, aufgewühlten Welt voller Tragödien, ist es vielmehr das Leise, Achtsame, Subtile, Flüchtige, das Unaufdringliche, was Alice Bertolasis Kunst auszeichnet, was sie der Gegenwart und uns entgegenhält. Zeit, Ort, Existenz, Material und Rhythmus können als zentrale Elemente des Schaffens der Künstlerin charakterisiert werden. Liebe Alice, dir weiterhin Kraft, Ideen, Intuition und kritisches Hinterfragen mit deiner sinnlich-reflektierten Kunst. Lass uns in Verbindung bleiben. Ich wünsche Ihnen, liebe Besucherinnen und Besucher, einen anregenden Nachmittag voller Neugier, guter Gespräche und Kunstgenuss. Beim Betreten des Kunstraums hinterlassen wir neue Spuren und nehmen gleichzeitig Spuren auf, materiell und gedanklich. Wir, unsere Daseinsreste, sind damit ein wesentlicher Teil dieser Kunst.
Emilia ist 2021/22 für ein freiwilliges soziales Jahr an der “Deutschen Schule Mailand”. Emilia berichtet während ihres Aufenthalt regelmäßig über ihren Aufenthalt in Mailand.