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Das Literatur-Tandem – Jonas Linnebank und Andreea Simionel

Andreea Simionel

In Jonas Erzählung geht es um die Fremden. Er schreibt in einer klaren und schonungslosen Sprache, die eine verstörende Atmosphäre schafft: Das „Unheimliche“ ist in diesem Fall nicht nur in einer scheinbar ruhigen Familie verborgen, sondern breitet sich von dort in der gesamten Dorfgemeinschaft aus.
Wir haben beide eine Übersetzung gewählt, die möglichst nah am Original bleibt, und wir freuen uns, dass wir unsere Erzählung jetzt in einer anderen Sprache lesen können. Die größte Herausforderung bei der Übersetzung von „Drei Frauen, die rauchen“ bestand darin, die Intensität der Sprache von Jonas ins Italienische zu übertragen und dabei die zu Grunde gelegte Unparteilichkeit beizubehalten. Eine Unpersönlichkeit, die sich vor allen Dingen darin zeigt, den Personen keine Namen zu geben. Die Protagonisten sind eine Mutter, eine Tochter, ein junger Ausländer. So erzählt Jonas nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern all der sozialen Kreise, die sich von Vorurteilen ernähren, aller Ausländer, die zu Unrecht zu Opfern gemacht wurden.
Die Geschichte entwickelt sich durch das, was nicht gesagt wird: Der Ton der Anklage richtet sich gegen eine Haltung der Diskriminierung, des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, die in jeglicher kleinen Gemeinde üblich ist. Gleichzeitig werden die Wörter Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nie ausgesprochen. Der Leser fühlt sich in Frage gestellt, beschuldigt, sogar involviert, berufen, Stellung zu beziehen.
Es hat mich betroffen gemacht, an einem Thema arbeiten zu können, das mir so nahe steht. Jonas ‘Gesichtspunkt ist äußerst aktuell und zeigt, dass Wörter in jeder Sprache als Waffen verwendet werden können, vergleichbar mit körperlicher Gewalt.

Andreea Simionel:

Jonas Linnebank

Andreeas Geschichte gibt vor, einen Konflikt zwischen der pubertierenden Tochter und ihren Eltern zu schildern, einen (ersten?) Kuss der Tochter und dass sie den letzten Tag ihres Urlaubs genießen möchte.

Gleichzeitig zeigt Andreea den Süden Italiens mit seinen Mythen, Utopien und Problemen: die Kinder reicher Eltern, die nicht teilen wollen; die verlassenen Häuser; der Verfall und das sich Durchschlagen; die günstigen Preise in den Restaurants, die trotzdem nicht die mangelnde Arbeit, ein nicht-vorhandenes Einkommen ersetzen; die Konflikte zwischen einzelner Person und der (Dorf-)Gemeinschaft; die Flucht aus dem Süden.

Das alles in einem Text, der die Beziehung zwischen den Eltern, zwischen den Eltern und der Protagonistin, sehr genau, offen, brutal, aber auch liebevoll beschreibt.

Ich habe versucht, diesen – für mich – ehrlichen Ton wiederzugeben. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin schwankt zwischen lakonischen kurzen Sätzen und schönen Metaphern und diese Sprache passt genau zu dem widersprüchlichen Verhältnis, das sie zu ihren Eltern hat, auf das undefinierte Verhältnis zu Sizilien und Italien. Vielleicht kann der Text auch als doppelter Abgesang gelesen werden: auf die Jugend und auf Sizilien; beiden scheint im Moment, das Wasser bis an die Knie zu reichen.

Die Übersetzung und die Arbeit mit Andreea und Archim hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich empfinde es als eine Ehre, den eigenen Text in einer anderen Sprache lesen zu können. Und natürlich freue ich mich sehr, dass Andreea mein Text sehr gefallen hat. Ich hoffe, dass sie mit meiner deutschen Version so zufrieden ist, wie ich es mit ihrer italienischen bin und dass wir wieder und mehr voneinander lesen werden.

Jonas Linnebank

Das Literatur-Tandem – Marielle Kreienborg und Fausto Paolo Filograna

Marielle Kreienborg

Una fine – ein Ende erzählt von Anfang und Ende, von Leben und Tod und davon, wie beide rigoros Hand in Hand gehen. Una fine hat mir verdeutlicht, wie man in einem Leben, oft an einem einzigen Tag, vielerlei Rollen bekleidet: man ist Sohn und man ist Vater, man ist Schüler, man ist Lehrer, man lebt in der Vergangenheit in der Gegenwart. Ich bin den erzählten „archäologischen Reisen” innerhalb einer Familie gefolgt, durchstreifte Erinnerungen, die, Puzzlestück für Puzzlestück, „mit langen Leinen” ein Bild aus dem Meer hervorholten, das große Ganze zu Tage beförderten.
Lesend bereiste ich den Süden Italiens, war auf Fischfang in Gallipoli, im Haus einer Kindheit, in dem das Ringen um die mütterliche Zuneigung noch immer nachklingt, jener Mutter, aus der der Krebs eine andere gemacht hat, ich durchquerte – von Borges Tlon bis zu Thomas Bernhards Frost – ein stilistisches Manifest, das sich in der Erzählung widerspiegelt und kam am Ende eines Lebens an beim Beginn eines neuen.
Ich habe Faustos in Versform geschriebene, verschachtelt-verkopfte Erzählung Episode für Episode gelesen, ihm meine Verständnisfragen gestellt, es war nicht immer einfach nachzuvollziehen, wer sich erinnert und wer erzählt, und anschließend eine Übersetzung angefertigt, die Faustos Version, der literarischen Sprache und der Bilder, die er für seine Ideen findet, nahe kam, ohne dass jene Bilder im Zuge der Übersetzung an Strahlkraft und konkreter Poesie einbüßten.

Marielle Kreienborg

Fausto Paolo Filograna

Der von der Heimann-Stiftung für mich ausgewählte Text ist präzise und klar. Ich denke, dass er zusammen mit meinem Text ausgewählt wurde, weil er so ganz anders ist. Die Welt, die Marielle in ihrem Text darstellt, wird entlang der edelsten Handlung enwickelt, der der Menschheit zukommt: dem Wandel. Dies geschieht sehr präzise und erfasst den Schritt, der ein Mädchen in eine junge Frau verwandelt und zwar in einer Reise, die in unserer westlichen Welt beginnt und in einer für den Europäer vollständig anderen Welt endet, dem Orient. Die Unbefangenheit des Wandels hat unsere Übersetzungsarbeit begleitet, die uns gezwungen hat, uns zu verwandeln, in der nüchternen Hülle, die die Sprache ist, die uns trennt. Ich habe zwei Demokratien (Deutsch und Italienisch) gesehen, die in ihrer monolithischen Gesamtheit der von Marielle beschworenen arabischen Welt gegenüberstanden und ich wollte mich besiegt fühlen: im Unverständnis, im Vorurteil und in der Unmöglichkeit einer Übersetzung. Ich wollte es, weil die Welt der Gewinner uns gehört und uns zu dem macht, was wir sind, und eine Niederlage ist der einzige Weg zum Ruhm, auf den wir jetzt hoffen können. Die Welt der Gleichen existierte nie, wir mussten Gerechtigkeit erfinden, um unsere Schrecken zu rechtfertigen. Uns für besiegt zu erklären, ist alles, was wir vor einer anderen Sprache und daher vor jeder Frau und jedem Mann innerhalb und außerhalb von uns tun können. Wie der Ochse den Pflug überwindet und von ihm überwunden wird, so bewegt sich alles.

Fausto Paolo Filograna

Das Literatur-Tandem – Carolina Heberling und Maddalena Fingerle

Wir haben uns beide nach einem langen Gespräch dazu entschieden, die freie Nacherzählung als Form der Übertragung zu wählen, weil wir es sehr reizvoll fanden, die Geschichten auf diese Art näher an uns heranzuziehen. Im Prozess dieses Übersetzens und Fortschreibens standen wir eng miteinander in Kontakt, um sicherzugehen, dass sich die andere im Geist ihres Textes nicht missverstanden oder verraten fühlt. Wir sind mit den Nacherzählungen zufrieden, weil sie uns gezeigt haben, wie unterschiedlich man im Lesen und Schreiben einen Schwerpunkt setzen kann, ohne den Kern einer Idee zu verlieren.

In der italienischen Nacherzählung von „Atmen“ hat sich die Handlung von der Kreativbranche in Deutschland in einen Verlag in Italien und von der Außenwelt der Protagonistin in ihr Innenleben verlagert. Der Text problematisiert dadurch das Stigma der mentalen Krankheit, indem er sie relativiert. Die Liebe zur Sprache und zur Macht der Buchstaben wird in diesem Kontext stark gemacht. Wir haben uns entschieden, dass Tarik, der Freund von (H-)Edda, aufgrund dieser Fokussetzung nicht mehr auftaucht, weil er – im Vergleich zum deutschen Text – eine Nebenrolle gespielt hätte, die Maddalenas Text nicht gebraucht hat.

In der deutschen Nacherzählung von „In principio era il bianco“ wurde aus der schönen altehrwürdigen Kunstakademie eine Hochschule im Betonbrutalismus der 70er Jahre. Der Text hat einige der Fäden, die der italienische Text zart und verdichtet angelegt hat, neu miteinander verwoben und konkretisiert – im Text ist nun klar gesagt, dass der Professor, der seine Macht missbraucht, auch die junge Frau, die für die Klasse als Akt Modell sitzt, unterrichtet. Zudem haben wir uns entschieden, dass der Lehrer in der Art, wie er von Carolina beschrieben wird, nicht mehr an die historische Person Johannes Itten erinnern soll, der in Maddalenas Vorlage ja als Projektionsfläche des Protagonisten fungierte.

Das Literatur-Tandem Carolina Heberling und Maddalena Fingerle