TANDEM 2022
Fluidi

Un'altra volta un racconto è stato tradotto.
Hier der Kommentar von Sabine Oberpriller zu der Erzählung “Fluidi.” di Vorrei ara Mai.

In diesem Tandem zusammen intensiv in beiden Richtungen an Sprache zu arbeiten, sich über die kulturellen Hintergründe auszutauschen, die in den Bildern und Metaphern und damit auch im kollektiven Textverständnis der beiden Kulturkreise stecken, hat mich wieder sehr bereichert. Diese Gelegenheit bekommen zu haben, dafür bin ich sehr dankbar.

Sabine Oberpriller,

Ricreazione – mein neues italienisches Lieblingswort (dicht gefolgt von il brigante Ozziplozzi). Ricreazione, ein Wortspiel auf so philosophischem Niveau, macht mir einfach Spaß. Wie es die Wiedergeburt, sprich das Neuerstehen, und die Pause, die Erholung zusammenbringt. In meiner präzisen Muttersprache habe ich dafür keine Entsprechung gefunden. Ist es da nicht bezeichnend, dass zu den kulturellen Klischees die deutsche rastlose Arbeitsamkeit und das italienische Dolce Vita gehören? Weil in Sara Meis Geschichte öfter Englisch eine Rolle spielt, habe ich mich schließlich für diese Krücke entschieden, um das Wortspiel zu erhalten.
Das Sezierende und fast streng Separierende der deutschen Sprache ist mir auch an einer anderen zentralen Stelle bewusst geworden: Gender Fluidity hat direkt als Anglizismus und sperriger und wenig spielerischer Fachbegriff Einzug in die Alltagssprache gefunden, obwohl auch das nichts anderes als „fließend“ bedeutet. Hat das sprachtheoretische Gründe oder verrät es auch etwas, wie die Gesellschaften an das Thema herangehen?
In diesem Tandem zusammen intensiv in beiden Richtungen an Sprache zu arbeiten, sich über die kulturellen Hintergründe auszutauschen, die in den Bildern und Metaphern und damit auch im kollektiven Textverständnis der beiden Kulturkreise stecken, hat mich wieder sehr bereichert. Diese Gelegenheit bekommen zu haben, dafür bin ich sehr dankbar. Über die andere Sprache konnte ich auch einen neuen Blick auf meinen Text finden, neue Fragen stellten sich: Verfängt sich meine Protagonistin nun eigentlich im Dickicht des Waldes, oder gerät sie ins im Italienischen eher gebräuchliche Herz des Waldes, das gleichermaßen verwirrt und Kraft spendet?
Von Anfang an hat mich die Geschichte von Sara Mei berührt. Wie auch in meiner Geschichte, steht die (Selbst-)Definition der Frau, des Weiblichen infrage, bis zu dem – für mich als Leserin schmerzlichen – Punkt „auf Diät“ gesetzt zu werden. Und eine ganze Familie gerät in ein unbekanntes Fahrwasser der Emotionen, der schwer nachvollziehbaren Psychologie und der Zeitenwende. Besonders die Mutter schafft es im Rausch aus Eindrücken und Angst kaum Luft zu holen, denn zwischen Eltern und Kindern findet diese Auseinandersetzung des Sozialen und der Generationen in jeder Minute des Tages statt.
Sollte ich die Geschichte in eigenem Duktus nacherzählen? Letztendlich war ich doch neugierig darauf, mich mit einer Übersetzung möglichst genau an die Sprache von Sara Mei anzutasten.
Eine Ausnahme habe ich gemacht. Von Anfang an sprechen, beobachten und entscheiden in dieser Geschichte die Erwachsenen. Die Kinder, die ebenso in diesem Schlamassel stecken, bleiben in der Ursprungserzählung durch die Abkürzungen S. und E. anonym. In der ersten Hälfte fand ich das ein starkes Stilmittel für die Machtlosigkeit der Kinder im sozialen Gefüge. Doch die beiden, die ganze Generation, entwickeln großes Selbstbewusstsein und übertreffen bei diesem Thema die Erwachsenen an Lebensweisheit. Mit Zustimmung von Sara Mei habe ich also beschlossen, den Kindern Namen zu geben – und damit aus meiner Sicht auch ein Gesicht.

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