TANDEM 2022
Stratigrafia

Un'altra volta un racconto è stato tradotto.
Hier der Kommentar von Thomas Empl zu der Erzählung “Stratigrafia” di Cesare Sinatti.

Ich las oder vielmehr durchquerte die erste Seite von Cesare Sinattis Stratigrafia und war im Kopf eines anderen. Eines jungen Mannes namens Filippo aus der Kleinstadt Fano …
… Ich muss gestehen, dass es mein erster, falscher Impuls war, Filippo zu korrigieren: seine Sätze zu kürzen, die Wiederholungen zu streichen, das Tempus zu vereinheitlichen, die unverständlichen Metaphern verständlich zu machen. Was natürlich Blödsinn gewesen wäre! Denn als ich mich dann später, im Laufe der 56 E-Mails, die Cesare und ich austauschten, vollständig dieser Sprache hingab, war klar, dass das ganze Unterfangen nur funktionieren kann, wenn man den von Cesare brillant gesetzten Rhythmus dieses Denkens beibehält. Und das habe ich versucht.

Thomas Empl

Ich las oder vielmehr durchquerte die erste Seite von Cesare Sinattis Stratigrafia und war im Kopf eines anderen. Eines jungen Mannes namens Filippo aus der Kleinstadt Fano, in dessen Gedanken sich tutta l’ansia del mondo stapelte – und dem durch den Corona-Ausbruch im März 2020 gerade noch mehr Ängste dazugekommen waren.
Eine Seite nur, und man meint, Filippos Panik verstehen zu können – das muss man erstmal hinkriegen. Das hätte ich nicht drauf, das konnten höchstens David Foster Wallace oder Rainald Goetz, und auch hier gelingt die Vermittlung fremder Gedanken nur, weil der Autor eine ganz eigene Sprache für sie findet. Der Erzähler Filippo ist ein komischer Typ, der manchmal stottert, der komisch läuft und aufgeregt herumhüpft, und genauso hüpft oder springt oder federt sein Erzählen auf und ab, seine seitenlangen Sätze landen mal in seiner Kindheit, mal in einer ausgedachten Zukunft, dann sind wir plötzlich in Edinburgh, New York oder der Antike. Ein Personal, das einen ganzen Roman füllen könnte, taucht auf, sagt ein paar Worte und verschwindet im nächsten Halbsatz wieder. Ich muss gestehen, dass es mein erster, falscher Impuls war, Filippo zu korrigieren: seine Sätze zu kürzen, die Wiederholungen zu streichen, das Tempus zu vereinheitlichen, die unverständlichen Metaphern verständlich zu machen. Was natürlich Blödsinn gewesen wäre! Denn als ich mich dann später, im Laufe der 56 E-Mails, die Cesare und ich austauschten, vollständig dieser Sprache hingab, war klar, dass das ganze Unterfangen nur funktionieren kann, wenn man den von Cesare brillant gesetzten Rhythmus dieses Denkens beibehält. Und das habe ich versucht.
Noch kurz zurück zum Anfang: Ich lese eigentlich ungern Corona-Texte, und das war der erste, der mir gefiel. Wahrscheinlich weil Stratigrafia im Kern, unter all den Schichten, keine Erzählung über die Angst vor Corona ist, denke ich, sondern über die Angst, trotz aller Erinnerungen, Begegnungen und Beziehungen in unserem Leben allein zu sein.